Die psychotherapeutische Betreuung ist für Patienten mit Multipler Sklerose und ihre Angehörigen eine wichtige Unterstützung in der Krankheits- und Alltagsbewältigung.
Die Diagnose Multiple Sklerose trifft meist Menschen in jüngeren Jahren, in einer Lebensphase also, in der sie und ihr Umfeld kaum auf ein solch außerordentliches Ereignis vorbereitet sind. Es fehlt ihnen damit an Bewältigungsstrategien oder Vorstellungen, wie mit diesem – ich nenne es einmal so- «Sturz aus der Wirklichkeit» umgegangen werden kann oder soll.
So reagieren die einen auf die Diagnose MS mit Trauer oder Depression, andere erleiden einen regelrechten Schock oder verdrängen die Krankheit und die möglichen Folgen. Andere kämpfen sofort mit Aktivitäten gegen die MS an.
Aber nicht nur den Betroffenen fehlt es an Verhaltensroutinen im Umgang mit den neuen Anforderungen, sondern auch dem familiären und dem weiteren sozialen Umfeld. Die bedrohliche Realität muss Schritt für Schritt verarbeitet, eine neue, erträgliche Realität erarbeitet werden.
Die Multiple Sklerose (MS) ist unter anderem dadurch charakterisiert, dass neben körperlichen Funktionseinschränkungen auch psychische und kognitive Störungen auftreten können. Solche Einschränkungen in der geistigen Leistungsfähigkeit oder psychische Erkrankungen sind nicht nur für die Betroffenen, sondern auch für die Angehörigen meist schwieriger zu bewältigen als die körperliche Symptomatik.
Einschneidende Verlusterfahrungen
Eine der größten Herausforderungen ist jedoch die Tatsache, dass die Diagnose MS mit immer wiederkehrenden Verlusterfahrungen einhergeht. Sie wird von vielen als Traumatisierung erlebt. Weder der Verlauf der Erkrankung, noch die Schwere oder die Art der Symptome können beim Einzelnen vorausgesagt werden – das einzig Sichere an dieser Krankheit ist die Unsicherheit. Nicht nur die Tatsache, dass MS alle Aspekte der Persönlichkeit betreffen kann, sondern auch die extreme Unsicherheit in Bezug auf Ursachen, Auslöser, Prognose und Verlauf und die Unheilbarkeit können das Gefühl von Hilflosigkeit und Kontrollverlust mit sich bringen. Das subjektive Gefühl von Kontrolle wiederum ist elementar für den Erhalt psychischer Gesundheit und Voraussetzung für einen konstruktiven Umgang mit chronischer Erkrankung.
Ziel ist, die emotionale Befindlichkeit regulieren zu können, die Handlungsfähigkeit aufrechtzuerhalten und das subjektive Gefühl von Kontrolle wieder herzustellen. Die Erkrankung muss in das Selbstbild integriert werden, ohne dass sie alle anderen Aspekte der Identität und des Selbstbewusstseins verdrängt.
Eine wichtige Perspektive aus der Sicht des Erkrankten umfasst die soziale Unterstützung und Akzeptanz bei seiner Erkrankung, sowie die durch Kontrollverlust verunsichernden Aspekte wie beispielsweise die finanzielle Sicherheit oder die berufliche Perspektive.
Wie bereits verdeutlicht hat die MS nicht nur körperliche, sondern auch sehr häufig psychische Symptome, zum Teil organisch (mit)- bedingt (z.B. neuropsychologische Störungen, Depression, Affektlabilität, Euphorie). Gehen wir bei sensiblen Menschen von einer Traumatisierung durch MS aus, ist potenziell mit Verarbeitungsstörungen oder Identitätskrisen zu rechnen.
Für bestimmte Symptome müssen auch psychische Ursache- oder
Auslösefaktoren angenommen werden wie z.B.sexuelle
Funktionsstörungen, Müdigkeit durch Fatigue
- Zusätzlich zur MS können im Sinne einer Komorbidität psychische Erkrankungen vorliegen (z.B. Angststörung, Persönlichkeitsstörung).
- Auch wenn die verschiedenen psychischen Symptome oft nur schwer voneinander abzugrenzen sind, braucht es eine entsprechende Diagnostik, um die richtigen Behandlungsschritte zu planen!
Funktion (Körper)
- Unterstützung beim Erlernen von Ersatzstrategien bei neuropsychologischen Defiziten
- Erlernen von Bewältigungsstrategien bei Müdigkeit
- Schmerzbewältigungstraining
- Beratung zum Umgang mit Complianceproblemen
- Informationen zu gesundheitsförderlichen Verhaltens weisen
Aktivität (Person)
- Psychotherapie bei Vorliegen einer psychischen Erkrankung,
- Verarbeitungsstörung oder Identitätskrise
- Psychologische Begleitung zu Themen der Krankheitsbewältigung, Sinnfindung, Lebensperspektiven
- Krisenintervention z.B. bei Suizidgefahr
- Informationen zum Zusammenhang zwischen MS und Psyche
- Unterstützung bei der Förderung eigener Ressourcen (z.B. Entspannung, Kreativität, Inanspruchnahme von Hilfe-leistungen)
- Beratung in Entscheidungssituationen z.B. bezüglich
- Familienplanung, berufliche Neuorientierung
- Stressbewältigungs-, Problemlösetraining
Partizipation (Umwelt)
- Information zu Auswirkungen der MS auf die Familie
- Beratung zur Prävention familiärer Konflikte
- Paartherapie bei bestehenden Konflikten
- Selbstsicherheits- und Kommunikationstraining,
- Training sozialer Kompetenz
Zu psychologischen Maßnahmen gehören dabei nicht nur die Psychotherapie. Neben der psychotherapeutischen Behandlung sind vor allem die psychologische Beratung, die Information beziehungsweise Weiterbildung und das Verhaltenstraining hilfreich.
Die Depression gehört zu den häufigsten psychischen Erkrankungen bei der Multiplen Sklerose. Aber auch das Gegenteil der Depression, die Euphorie (Manie) kann in krankhaftem Ausmaß auftreten. Aufgrund der entzündungsbedingten Veränderungen sind auch verschiedene psychotische Symptome zu beobachten. Alle genannten psychischen Erkrankungen bedürfen unbedingt professioneller Behandlung.
Das dem Stimmungstief entgegengesetzte Gefühl ist die Euphorie. Sie tritt jedoch als Symptom bei MS-Patienten meist erst sehr spät auf. Das Gegenbild der Depression wird auch Manie genannt. Euphorie, geringes Schlafbedürfnis, Selbstüberschätzung Reizbarkeit, Rücksichtslosigkeit, Antriebssteigerung, Enthemmung sowie stark erhöhte Libido sind Symptome der Manie.
Es gibt Fälle, in denen sich depressive und manische Phasen abwechseln.
Wie auch bei anderen Krankheiten beeinflusst eine gute psychische Befindlichkeit den Verlauf der MS positiv, eine schlechte negativ.